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VK Hessen: Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) erfüllen nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge
vorgestellt von Thomas Ax
1. Die Anforderungen an die Darlegung einer Vergaberechtsverletzung bzw. an die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber dürfen nicht zu hoch angesetzt werden. Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen (sog. Rüge ins Blaue hinein) reichen nicht aus.
2. Die bloße Behauptung eines Mitbewerbers, der Bestbieter erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen, ohne Anhaltspunkte oder Indizien darzulegen, aus denen er diese Erkenntnis nimmt, erfüllt nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge.
VK Hessen, Beschluss vom 26.06.2023 – 96 e 01.02/23-2023
nachfolgend:
OLG Frankfurt, 20.07.2023 – 11 Verg 3/23
Gründe:
I.
Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren die Durchführung der Unterhaltsreinigung sowie von Sonderreinigungsarbeiten für die ### Hochschule ###, Gebäude 1 und Gästehäuser 3 und 5 aus (###).
Die Antragstellerin bewarb sich mit einem Angebot vom 23. Februar 2023 auf die o.g. Ausschreibung. Mit Schreiben vom 12. Mai 2023 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot aus preislichen Gründen nicht berücksichtigt werden könne.
Hiergegen wendete sich die Antragstellerin mit Schreiben an die Vergabestelle vom 16.05.2023, in der sie erläutert, dass sie die Anforderungen der Ausschreibung erfüllt habe, der Bestbieter die Vorgaben jedoch „ganz offensichtlich nicht erfüllt“habe. Dies müsse dazu führen, dass das Angebot des Bestbieters ausgeschlossen wird.
Hierauf erwiderte die Vergabestelle mit Schreiben vom 16. Juni 2023, in dem sie der Antragstellerin mitteilte, dass sie der Rüge nicht abhelfen werde. Die Ausführungen der Antragstellerin seien nicht geeignet, ihre Rüge ausreichend substantiiert zu begründen, da sie einer tatsächlichen Grundlage entbehrten. Der Vortrag der Antragstellerin sei als Rüge ins Blaue hinein unbeachtlich. Die Antragstellerin müsse vielmehr tatsächliche Anhaltspunkte oder Indizien vortragen, welche einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß zu begründen.
Hierauf legte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 22. Juni 2023 Nachprüfungsantrag ein. In ihrem Antrag erläutert die Antragstellerin, dass der Vortrag der Vergabestelle, es handele sich bei den Ausführungen der Antragstellerin in ihrem Schreiben vom 16. Juni 2023 um eine Rüge ins Blaue, unzutreffend sein. Sie erläuterte weiter, dass die Antragstellerin keinerlei Wissens- und Informationsstand bezüglich des Angebots der Bestbieterin habe, da sie dies schlichtweg nicht kenne. Ihr stünden auch keine weiteren Erkenntnisquellen zur Verfügung.
II.
Der Antrag ist nicht gemäß § 163Abs. 2 Satz 3 GWB an die Vergabestelle zu übermitteln. Er ist offensichtlich unzulässig gem. § 163 Abs. 2 Satz 3 Var. 1 GWB.
1. Der Antrag ist offensichtlich unzulässig. Die Antragstellerin ist bereits nicht antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB.
Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
Die Antragstellerin genügt ihrer hieraus resultierenden Darlegungspflicht nicht. Sowohl in ihre Rüge vom 16. Juli 2023 als auch in ihrem Nachprüfungsantrag stellt die Antragstellerin schlichtweg die Behauptung auf, die Bestbieterin erfülle die Anforderungen der Ausschreibung nicht und sei daher auszuschließen. Anhaltspunkte oder Indizien, aus denen sie diese Erkenntnis nimmt, legt die Antragstellerin hingegen nicht dar.
Der Antragstellerin ist zwar insoweit zuzugestehen, dass sie selbstverständlich keinen Einblick in das Angebot der Bestbieterin sowie insbesondere in dessen Preiskalkulation haben kann. Insoweit können die Anforderungen an die Darlegung eine Vergaberechtsverletzung bzw. einen die Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber nicht zu hoch angesetzt werden (vgl hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19, NZBau 2020, 739 Rn. 41, beck-online m.w.N.).
Ein Mindestmaß an Substanziierung ist jedoch einzuhalten; reine Vermutungen zu eventuellen Vergaberechtsverstößen reichen nicht aus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.04.2020 – Verg 30/19, a.a.O., beck-online m.w.N.).
Die Antragstellerin versäumt es vollständig, darzulegen, wie sie zu ihrer Schlussfolgerung, die Angebotskalkulation der Bestbieterin sei fehlerhaft, kommt. Sie stellt lediglich die Behauptung in den Raum, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters – im Gegensatz zur Antragstellerin selbst- nicht erfüllt habe. Auch wenn die Antragstellerin die Kalkulation der Bestbieterin nicht kennen kann, schließt sie lediglich aus der Tatsache, dass das Angebot der Bestbieterin offenbar preisgünstiger ist, den Rückschluss, dass diese die Angaben hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt.
Ungeachtet dieser Behauptung, die jegliche tatsächliche Anhaltspunkte vermissen lässt, erläutert die Vergabestelle in ihrer Erwiderung vom 16. Juni 2023 nicht nur, dass die Bestbieterin die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters eben doch erfüllte, sie unternahm daraufhin eine Aufklärung hinsichtlich der in der Rüge aufgestellten Behauptung und kam zu dem Ergebnis, dass keine Zweifel an der Erfüllung der Anforderungen der Ausschreibung durch die Bestbieterin bestünden.
Selbst daraufhin unterlässt es die Antragstellerin, ihre Behauptung, die Bestbieterin habe die Anforderungen hinsichtlich des Objektleiters nicht erfüllt, substantiiert darzulegen. Sie wiederholt in ihrem Nachprüfungsantrag die Vorwürfe aus ihrem Rügeschreiben, geht ansonsten auf die Ausführungen der Vergabestelle, die Bestbieterin habe die Anforderungen erfüllt, kurz ein und stellt wiederum eine unsubstantiierte Behauptung auf, dass die Bestbieterin den Zuschlag „ganz offensichtlich“ mit 0% beziffert habe.
Dieser Vortrag der Antragstellerin erfüllt die Anforderungen an die Darlegung eines Vergaberechtsverstoßes offensichtlich nicht.
2. Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Gebühren erhoben.
Die Gebühren auslösende Amtshandlung ist hier schon mit der Prüfung des Antrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB durch die Vergabekammer gegeben (Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, GWB § 182 GWB Rn. 5).
Die Festsetzung der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens, wobei vorrangig vom Wert des Verfahrensgegenstandes auszugehen ist (BGH Beschluss vom 25.10.2011 – X ZB 5/10, BeckRS 2012, 2820; OLG Hamburg Beschluss vom 3.11.2008 – 1 Verg 3/08, BeckRS 2010, 26820).
Der Aufwand der Vergabekammer ergibt sich hier aus der Prüfung des Nachprüfungsantrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB. Gemäß § 182 Abs. 2 GWB beträgt die Gebühr mindestens 2.500 Euro.
a. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles hält die Vergabekammer ein teilweises Absehen von der Erhebung der Gebühren gemäß § 182 Abs. 3 Satz 6 GWB für angebracht. Die Gebühr wird daher aus Gründen der Billigkeit auf 500,- Euro reduziert. Für eine Reduktion um 2.000,- Euro spricht die Tatsache, dass der zeitliche und personelle Aufwand der Vergabekammer angesichts der Nichtübermittlung des Antrages im Vergleich zu einem Weiterführen des Nachprüfungsverfahrens wesentlich geringer war.
b. Nach § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB erfolgt die Entscheidung, wer die Kosten zu tragen hat, nach billigem Ermessen, d.h. die Regelung folgt nicht streng dem Unterliegensprinzip. Es sind vielmehr alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (OLG München, Beschluss vom 10. April 2019 – Verg 8/18 -).
Unter Berücksichtigung der im konkreten Fall zu bewertenden Umstände hält die Vergabekammer es für angemessen, der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Antragstellerin einen offensichtlich unzulässigen Antrag vorgelegt hat.
Rechtsmittelbelehrung
(…)